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"Kybernetische Ästhetik"
   
         
21.03.05 - 14:14:14
   
       
   
         
power of recollection • Michael Wagner
   
       
   
             
          recollection    



... Herbert W. Franke propagiert eine eng mit dem Wahrnehmungsprozess
von Kunst verbundene Ästhetik. Ästhetische Prozesse, so Frank,
seien auf verschiedene Weise an alltägliche Abläufe gebunden und nur schwer
von diesen zu trennen.

- [Helmar Frank, »Informationsästhetik - Kybernetische Ästhetik«, in:
Helmar Frank/Herbert Franke, Ästhetische Information.
Eine Einführung in die kybernetische Ästhetik, Berlin/Paderborn 1997, S. 37.] -

Wie Franke mit seinem Mehrebenenmodell entwickelt auch Frank ein Modell
sukzessiver Bewertung des Werkes, das eine progressive Erkenntnis seiner
komplexen Struktur erlaubt. Über die erwähnte Wahrnehmungstheorie hinaus
verarbeitet es Einsichten aus der Erkenntnistheorie wie auch der
Verhaltensforschung, mit deren Hilfe sich die Rolle von Emotionen im
ästhetischen Prozess beurteilen lässt.

Eine der Grundlagen einer wahrnehmungstheoretisch fundierten Ästhetik bildet die
Analyse der Informationsverläufe. Dieser von Frank/Franke [so., S. 116— 117.]
beschriebene physiologische und kognitive Prozess beginnt mit der
Informationsverarbeitung in den Sinnesorganen. Es besteht jedoch eine erhebliche
Differenz zwischen der ersten Informationsaufnahme und ihrer späteren
Verarbeitung im Bewusstsein, da dort nur selektierte und vielfältig kodifizierte
Daten ankommen. Von der im Kurzzeitgedächtnis empfangenen Information
mit einer Verweildauer von höchstens zwei Stunden erreicht nur ein kleiner Teil
(etwa 0,05 Bit/Sek.) das Langzeitgedächtnis, dem eine Kapazität zwischen
105 und 108 Bit zugeschrieben wird. Das Bewusstsein kann Daten aus dem
Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis über Assoziationen wieder abrufen.

So gesehen, unterliegt jede Art von Information,
auch ästhetische oder emotionale, bestimmten physiologischen Prozessen,
die ihre Aufnahme determinieren.
Ein Informationsüberfluss kann Irritation provozieren, ein Unterangebot
den Eindruck von Monotonie zur Folge haben. Insofern muss die von einem
Kunstwerk übermittelte Information ein quantitatives Informationsgleichgewicht
halten und zugleich nicht gänzlich redundante Informationstypen anbieten
(Prinzip der Ausnahme und Innovation). Wird dieses Niveau erreicht,
stellt sich beim Rezipienten das angenehme Gefühl ein,
Neues, Kreatives wahrgenommen zu haben. ...

... Kritik der Informationsästhetik und kybernetischen Ästhetik

Es ist das große Verdienst der rationalistischen Ästhetiken, ein ästhetisches Modell
erarbeitet zu haben, das auf einem neuen Forschungsparameter basiert:
der Information. Allerdings ist auch festzustellen,
dass einige orthodoxe Positionen rationaler, informationeller und kybernetischer
Ästhetik diese an ihre dogmatischen Grenzen stoßen lassen.
Tatsächlich verweist die Logik der Informationsästhetik selbst auf ein Paradox:
Eng verbunden mit dem Parameter ›Information‹ ist die Idee von Kommunikation.
Die ästhetische Information wird auf andere Art als die semantische behandelt,
da ihr Hauptanliegen nicht die Vermittlung von Bedeutung ist, sondern das,
was Max Bense als »Realisierung« bezeichnet.
Er schlägt ein System vor, das auf der unidirektionalen Übertragung von
Information basiert. Dieses Übertragungsmodell reduziert die Kommunikation
auf das einseitige Problem des ›Outputs‹ im Diskurs des ästhetischen Objekts.
Gerade diese Tatsache erlaubt es der Informationstheorie, ästhetische Wertungen,
wie die der Schönheit, in quantifizierbare Konzepte zu transformieren.
Wenn man ästhetische Fragestellungen auf eine rein rationale und numerische
Bewertung des Werks (Information als quantifizierbarer Wert) reduziert,
so gesteht man weder dem Werk selbst noch der ästhetischen Erfahrung —
und hierin besteht das Paradox — einen erkenntnistheoretischen Wert zu und
erschwert somit den Prozess einer wirklich offenen Kommunikation
beziehungsweise eines Informationsaustausches.

Ihrem Charakter nach ist die Art der von der Informationsästhetik vorgeschlagenen
Kommunikationsstruktur sequenziell und reduktionistisch. Unter Kommunikation
versteht sie de facto den Prozess der Informationsübertragung im Sinne des
›klassischen‹ Modells von Shannon und Weaver als einseitige
›Informationsübertragung‹ vom Sender zum Empfänger.

- [Claude E. Shannon/Warren Weaver, »Mathematische Grundlagen der
Informationstheorie« (1949/1964), in: Claus Pias u. a. (Hg.) 2000, S. 446] -

Weder den Subjekten, die an diesem Kommunikationsprozess beteiligt sind,
noch dem Kontext, in dem dieser stattfindet, oder dem semantischen Gehalt
wird hier Beachtung geschenkt. Indem die Informationsästhetik lediglich jenen
Eigenschaften Bedeutung zukommen lässt, die erschließbar und
quantifizierbar sind, beschränkt sie sich auf syntaktische Strukturen,
woraus folgt, dass die Information auf einen sehr reduzierten Bereich
begrenzt bleibt. Ein ästhetisches ›Maß‹ für Wertungen zu finden, die Kunstwerken
immanent und von Rezeption und Kontext unabhängig sind und somit allein
auf dem Informationsgehalt der ästhetischen Kommunikation beruhen,
kann als gescheitert betrachtet werden.
Von daher ist ein anderes Verständnis von Kommunikation erforderlich,
das auf den ästhetischen Bereich anzuwenden ist.

Steht das Ästhetische mit dem Bereich der Kommunikation in Verbindung,
so bedeutet dies mit anderen Worten,
dass Ästhetik als prozesshafte Kategorie des sozialen Systems verstanden wird.
Eine solche ›Ästhetik als kommunikativer Prozess‹
wäre demnach nicht in der Theorie Shannons oder der Kybernetik beheimatet,
sondern vielmehr in der Systemtheorie und dem Konstruktivismus.
Man kommt dem Thema Ästhetik allerdings erst dann näher, wenn die Beziehung
zwischen ›Kommunikation‹ und ›Kunst‹ konzeptuell in Einklang gebracht wird.
Dies umso mehr, als die Vielzahl unterschiedlicher Bedeutungen beider Begriffe
offensichtlich ist.


Claudia Giannetti, Kybernetische Ästhetik und Kommunikation, 2004.

http://www.medienkunstnetz.de/themen/aesthetik_des_digitalen/





         
 
               
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